Bei einem Meister
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Im Herbst fuhr ich nach München, um zwei Bonsai abzuholen. Diese beiden Bäumchen konnte man noch nicht wirklich Bonsai nennen - dazu waren sie nicht klar genug und es fehlte ihnen an Ausdruck. Allerdings handelte es sich um relativ alte Pflanzen, die einen ganz anderen Eindruck vermittelten als die, die ich bisher pflegte. Und noch eines kam dazu - beide Pflanzen waren Nadelbäume (eine Fichte und ein Wacholder), und mit ihnen wollte ich meine ersten Erfahrungen mit Koniferen-Bonsai machen. Der zweite Grund für die lange Fahrt war ein Besuch bei einem Bonsai-Meister, den ich bereits im letzten Jahr kennenlernen wollte. Damals traf ich ihn zwar nicht persönlich an, aber seine Frau war so lieb, mir die Bonsai-Sammlung zu zeigen. Mich beeindruckten die Bäume sehr, die ich dort sah. Jeder wirkte auf seine eigene Weise. Es gab Bäume, die wirkten elegant, andere waren kraftvoll und kompakt, wieder andere offenbarten ihre Botschaft erst nach einigen Momenten intensiver Betrachtung. Ein Baum fiel mir besonders auf. Er schien in seiner Schale zu thronen und verströmte ein Gefühl tiefer Ruhe. Dabei wirkte er ausgesprochen heiter und gelassen. Ich mußte unwillkürlich lächeln und fühlte mich ausgelassen wie ein kleiner Junge. Der Baum erschien mir daraufhin wie ein gütiger, aber strenger Vater, der die Kapriolen seines Kindes gelassen anschaut und nur aufpasst, daß es nicht gar zu wild wird. Der Rest der Bäume hat mich nicht mehr so sehr berührt wie gerade dieser eine Baum, obwohl sie alle sehr schön waren. Dieses Jahr wollte ich nun den Menschen kennenlernen, der diese außergewöhnlichen Bäume pflegte und gestaltete. Nachdem ich meine beiden Bäume abgeholt hatte, fuhr ich also weiter und kam am späten Nachmittag an. Ich hatte ein wenig Angst und war aufgeregt. Mein erster Eindruck von dem Meister war gemischt. Ich sah einen Mann, den ich auf Anfang sechzig schätzen würde. Er war mit Cordhosen und einer dicken Arbeitsjacke bekleidet, weil es Ende Oktober bereits recht kühl war. Er atmete schwer und schien leicht zu hinken. Die Augen blickten jedoch klar und aufmerksam. Sie strahlten eine Energie und Vitatlität aus, die in starkem Kontrast zu seinem etwas müde wirkenden Gang stand. Ich holte meine beiden Bäume aus dem Auto und wir begannen, uns über die weitere Gestaltung zu unterhalten. Als das Gespräch begann, schien der Mann sich zu wandeln. Plötzlich umgab ihn eine Aura von Konzentration und Strenge. Schnell und exakt analysierte er die Möglichkeiten des ersten Baumes und gab mir Hinweise für die weitere Gestaltung. Der Baum selbst schien ihn nicht weiter zu interessieren, da mit der Gestaltung keine großen Herausforderungen verbunden waren. Beim zweiten Baum, einem etwa 25 Jahre alten Wacholder, änderte sich das. Zunächst sprachen wir über die Grundzüge der weiteren Gestaltung. Da mir die Erfahrung fehlte, das Gehörte umzusetzen,bat ich um einige konkretere Hinweise und fragte, ob wir eine erste, grobe Gestaltung an Ort und Stelle vornehmen könnten. Er stimmte bereitwillig zu und begann, mir die Vorschläge zu erläutern und grob umzusetzen. Dabei wandelte sich die Ausstrahlung des Mannes erneut. War er eben noch streng und distanziert bei der Betrachtung des Baumes, so schien er jetzt in einen Dialog mit der Pflanze zu treten. Er tat etwas, sah hin und schien eine Antwort vom Baum abzuwarten. Dann erst tat er den nächsten Schritt. Bei diesem "Gespräch" mit dem Baum wirkte er äußerst wach. Es schien für ihn in diesem Moment nichts anderes zu geben als die Gegenwart und den Baum. Der Mann schien angekommen. Es war nichts mehr zu tun als das Gespräch mit dem Baum - nichts anderes zählte in diesem Moment. Auch ich empfand jetzt eine tiefe Ruhe, ein Gefühl des Angekommen-Seins und der Wunschlosigkeit. Später war ich nur noch glücklich und voll Freude und Dankbarkeit über das Erlebte. Wie tief mich der Besuch tatsächlich berührt hatte, fiel mir erst auf, als auch später immer wieder dieses Gefühl des Angekommen-Seins aufkam, wenn ich mich daran erinnerte. |
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