Baum und Schale

 

Auf dieser Seite möchte ich Sie einladen, mit mir gemeinsam einige Betrachtungen über das Zusammenwirken zwischen einem Bonsai und seiner Schale anzustellen. Dabei geht es mir nicht so sehr um klassische Regeln, die es für die Komposition eines Baumes mit einer Schale gibt. Es geht mir um etwas anderes - darum, wie Bonsai und Schale auf die Aufmerksamkeit wirken.

Jedes der beiden Elemente ruft, auch ohne daß beide miteinander kombiniert werden, beim Betrachter einen Eindruck hervor. Betrachten Sie einmal das folgende Bild und lassen Sie es auf sich wirken. Achten Sie darauf, wie Sie das Bild wahrnehmen, wie ihre Aufmerksamkeit durch das Bild gleitet.

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Jeder Bonsai wirkt auf die eine oder andere Art auf seinen Betrachter. Die Aufmerksamkeit wird angezogen und bewegt sich harmonisch, um nach und nach den ganzen Baum wahrzunehmen.

Doch auch eine Bonsaischale löst eine Wirkung aus. Eine Schale wirkt durch die Verarbeitung, die Farbe, die Oberfläche. Streichen Sie an der Schale entlang. Fühlt sie sich rauh oder eher glatt an? Ist die Wand der Schale gleichmäßig oder lassen sich leichte Unebenheiten fühlen? Was teilen Ihnen ihre Finger über die Schale mit? Wieveil Aufmerksamkeit schenken Sie einer Schale und wodurch wird die Aufmerksamkeit angezogen? Was nehmen Sie zuerst wahr?

Beides, Schale und Baum, lenkt die Aufmerksamkeit auf ganz unterschiedliche Weise. Damit die Komposition stimmig ist und als Ganzes harmonisch wahrgenommen wird, muss die Aufmerksamkeit zunächst von einem Fokuspunkt angezogen und dann von diesem Punkt ausgehend durch die gesamte Komposition geführt werden.

Im Folgenden möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen, wie die Wirkung einer Komposition durch die Wahl einer anderen Schale verändert werden kann. Betrachten Sie bitte das folgende Bild einer alten Aprikose in einer runden, flachen Schale.

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Wie wirkt diese Komposition auf Sie? Wohin fällt der Blick zuerst? Wie ist der Verlauf Ihrer Aufmerksamkeit?

Mich erinnert der Baum in dieser Schale an eine verbogene Achse, an der oben und unten ein Rad ansetzt. Wie kommt diese Wirkung zustande? Der Komposition fehlt ein Fixpunkt. Der Blick fällt zunächst etwa in die Mitte des Bildes auf die erste ausgeprägte Biegung des Stammes. Da die Schale nur einen unwesentlich kleineren Durchmesser als die Krone hat und auch ein ähnliches optisches Gewicht, fließt die Aufmerksamkeit ungerichtet vom Mittelpunkt des Bildes weg und verliert sich schließlich zu etwa gleichen Teilen nach oben und unten. Der Komposition fehlt Spannung. Der Blick wird nicht auf ein Zenrum gelenkt und von dort geführt, sondern verliert sich kraftlos.

Auf dem folgenden Bild ist der gleiche Baum zu sehen, allerdings in einer anderen Schale. Dabei handelt es sich um eine Fotomontage, die ich machte, um eine passende Schale zu finden. Ausschlaggebend für die Wahl dieser Schale war der Stamm des Baumes. Er besitzt eine große optische Masse und ausgeprägte abgestorbene Partien. Die zukünftige Schale sollte also eine ruhige und kraftvolle Ausstrahlung besitzen, damit sowohl die Bewegung des Stammes als auch die durch das tote Holz erzeugte Dynamik einen Gegenpol finden. Außerdem muss die neue Schale eine klare, kompakte und ausreichend tiefe Form aufweisen, die die optische Masse des Stammes ausgleichen kann.

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Die abgebildete Schale verleiht dem Baum eine stabile Basis. Durch die Tiefe der Schale entsteht ein Ausgleich zur optischen Masse des Stammes. Der Blick des Betrachters fällt nicht mehr direkt auf die Mitte des Stammes. Er wird stattdessen durch die Schale gefesselt und zunächst langsam den Stamm aufwärts bis in Äste der Krone geführt, um von dort zurück zur Schale zu finden. Dadurch wirkt die Komposition von Baum und Schale ruhig und kraftvoll, ohne zu statisch zu sein.

 

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