Ein Morgen an der Ostsee

 

 

Ich wurde wach. Es war dämmerig, einige Vögel sangen und ich war noch ein wenig müde. Aber was für ein Gedanke, den Tag schon von seiner Geburt an zu nutzen! Also stand ich auf, zog meine Jeans, ein T-Shirt und einen warmen Pullover an, packte meine Zeichensachen in den Rucksack und los ging es. Vor dem Haus fröstelte ich, zog mir den Kragen der Jacke zu und Handschuhe an. Dann ging ich los, in Richtung Strand durch den Wald. Ich wählte einen Weg, den ich noch nicht kannte, der mich aber, wie ich an der Richtung erkannte, zum Strand bringen mußte.

Im Wald war es kühl und feucht, es roch nach Tannennadeln, Nebel und ein wenig nach Pilzen. Ein Nachtvogel schrie und ich betrachtete den bleischweren Himmel, an dem das Licht des anbrechenden Tages langsam heraufzog. Der Waldboden war weich und elastisch, ich kam gut voran und in mir erhob sich wie ein freigelassener Vogel eine klare, frohe Stimmung. Peer Gynt fiel mir ein, und wie gut seine "Morgenstimmung" das Gefühl beschrieb, das sich jetzt in mir breitmachte.

Nach einer Weile führte mein Weg an einer kleinen Holzbrücke vorüber, die über ein Bachbett gelegt war. Einfach gezimmert aus rauhen Bohlen und kleinen Stämmen war sie, aber noch gut und fest. Der Weg führte weiter duch den Wald und endete an den Dünen. Ich beschloß, am Meer weiterzugehen, den salzigen Wind zu schmecken und die Wellen anzuschauen. Also überquerte ich die Dünen.

Das Meer lag bleigrau und schwer vor mir. Über mir zogen die letzten Sturmwolken, ein starker Wind wehte, der mich wieder frösteln ließ. Aber der Anblick der trägen See und des sich darüber endlos spannenden grauen Himmels brachten mich dazu, weiter am Strand zu laufen, trotz des kalten Windes. Ich dachte daran, nach Bernsteinen zu suchen, und an die Legenden von der versunkenen Stadt Vineta, die alle sieben Jahre für eine Nacht aus dem Meer auftauchen soll. Vielleicht ging gerade jetzt diese Nacht zuende, und ich sah die Stadt im Morgengrauen? Aber weder Bernsteine noch die sagenhafte Stadt wollten sich zeigen.

Nach einer Weile bog ich vom Strand ab und machte eine kurze Rast. Ich war fast in Dierhagen, aber es war noch sehr früh, so daß ich kein Frühstück bekam. Also setzte ich mich nur kurz und schrieb einige Gedanken und Kindheitserinnerungen auf, trank ein wenig und machte mich dann wieder auf den Weg, immer auf dem Darß in Richtung Arenshoop. Inzwischen hatte es begonnen zu nieseln, und der kalte Wind trieb mir den Nieselregen wie kleine spitze Nadeln ins Gesicht. Die Welt versank in einem eintönigen Grau, das nur hier und da durch ein frisch gedecktes Strohdach unterbrochen wurde. Aber selbst das fröhliche Gelb kam gegen die Masse des Grau nicht an.

Schließlich verzogen sich die Regenwolken. Es klarte auf, über dem Meer wurde der blaue Himmel sichtbar, und an den Wolkenrändern brach sich rosa das erste Licht der aufgehenden Sonne. Ich setzte meinen Weg entlang der Küste fort. Der Strand und die bisher sanft geschwungenen Dünen wurden allmählich schroff und steinig. Als ich an eine Weggabelung gelangte, entschloß ich mich, den Strand zu verlassen und wählte den oberen Weg. Nach einer Weile bemerkte ich, daß ich mich auf einer kleienen Steilküste befand, inmitten einer alten Befestigungsanlage, die wohl noch aus dem Weltkrieg übrig war und später als Raketenstellung genutzt wurde. Jedenfalls ließen die Reste einer angelegten Ringstraße und die Positionen der verwitternden Gebäude diesen Schluß zu.

Mir kamen Erinnerungen an meine eigene Armeezeit, die ich hauptsächlich bei den Fla-Raketentrupps verbracht hatte. Ursprünglich als Funker für den Jägerleitdienst ausgebildet, fand ich mich schließlich in einer abgelegenen Fla-Raketenstellung in der Nähe von Stralsund wieder. Mein erster Urlaub von der Armee kam mir wieder in den Sinn. Mit Ingmar in Greifswald, im Studentenwohnheim, in dem damals sein Bruder wohnte. Ich schob die Gedanken beiseite und gab mich ganz meiner Entdeckerfreude hin. Meine Phantasie zeigte mir heldenhafte Gefechte von Küstenbatterien gegen einen Flotte von Panzerkreuzern, die vor der Küste lagen und ich stellte mir die Soldaten vor, während ich in den alten Anlagen herumstöberte.

Dann hatte ich die Stellung hinter mir und ging nahe der jetzt steil abfallenden Küste vorsichtig einen schmalen Pfad entlang. An einer von Buschwerk freien Stelle ließ ich mich vorsichtig nieder und kroch bis zum Rand der Steilküste vor. Da lag ich auf dem Gras, unter mir brachen sich donnerd die Wellen an der Küste, über mir zogen dunkle Sturmwolken und der Wind heulte mir in den Ohren. Ich zog meine Mütze tiefer ins Gesicht und gab mich ganz den Eindrücken und der Naturgewalt hin. Ein erhabenes Schauspiel.

Nach einiger Zeit wurde mir kalt und mein Magen knurrte vernehmlich. Immerhin war ich seit gut drei Stunden unterwegs, war sehr zügig marschiert und hatte bisher nur einen Apfel gegessen. Also verabschiedete ich mich in Gedanken vom Meer und meinem Platz, kroch vorsichtig zurück und wanderte nach Ahrenshoop, wo ich mir ein reichliches Frühstück gönnte.

 

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